• „Je relevanter Nachhaltigkeit wird, desto größer wird die Gegenbewegung“

2015 sah die Nachhaltigkeitswelt noch rosig aus – das Pariser Klimaabkommen wurde, genauso wie die UN-Entwicklungsziele, mit großer Mehrheit beschlossen. Seitdem hat sich die Welt und die Stimmung gedreht. „Was nun?“, haben wir Laura Marie Edinger-Schons gefragt, die an der Uni Hamburg Sustainable Business lehrt.
Prinzipiell bin ich trotzdem ein absoluter Fan davon, sich ambitionierte Ziele zu setzen, denn diese geben uns eine klare Richtung vor.

UmweltDialog: Die UN-Entwicklungsziele (SDGs) werden selbst nach UN-Einschätzung nicht erreicht. Beim 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens sieht es kaum besser aus. Haben wir uns zu viel vorgenommen oder uns gar etwas vorgemacht?

Edinger-Schons: Das ist eine ganz zentrale Frage. Selbst wenn alle Organisationen, die sich Klimaziele gesetzt haben, diese auch erreichen, dann sind wir immer noch weit weg vom 1,5 bis 2 Grad-Korridor des Pariser Klimaabkommens. Und man muss ja ganz ehrlich sagen, dass viele noch gar nicht wissen, wie sie die gesetzten Ziele erreichen wollen. Prinzipiell bin ich trotzdem ein absoluter Fan davon, sich ambitionierte Ziele zu setzen, denn diese geben uns eine klare Richtung vor.

Die Frage, was mit den SDGs passieren wird, ist in diesem Kontext zu sehen. Die SDGs haben eine wichtige Funktion, weil sie das erste Mal eine gemeinsame Sprache und insbesondere Bildsprache für Nachhaltigkeit darstellen. Die sozialen und ökologischen Themen sind dabei so eng miteinander vernetzt, dass wir sie nur gemeinsam gestalten können. Das gilt übrigens auch für die digitale und die Nachhaltigkeitstransformation, die „Twin Transformation“. Was wir jetzt realisieren, ist, dass wir nicht schnell genug sind und die Folgen der Krise immer spürbarer werden. Und trotzdem wird es zunehmend schwerer, einen politischen Willen und Konsens für diese Themen zu finden.


Sie sagten gerade: „Wir sind nicht schnell genug.“ Tempo ist in der Tat ein Aspekt. Der andere Aspekt ist aber, dass wir Komplexitäten mitdenken müssen. Manchmal habe ich jedoch den Eindruck, dass die SDGs uns dazu verleiten, in bunten Kacheln und damit in Schubladen zu denken. Machen wir es uns da nicht zu einfach?

Edinger-Schons: Das ist natürlich eine Gefahr. Man spricht deshalb auch von SDG-Washing, weil sich manche Organisationen einfach ein paar der bunten Kacheln auf die Webseite packen und sich sagen, das wird schon irgendwas damit zu tun haben mit dem, was wir machen, statt ein wirkliches Impact Assessment durchzuführen.

Ich denke dennoch, dass uns solche Kategorien helfen, eine verbesserte Koordination und Standardisierung zu erreichen. Auch wenn viele jetzt stöhnen, die arme europäische Wirtschaft gehe wegen der Nachhaltigkeitsregulierung zugrunde. Ich sage: Endlich bewegen wir uns mal in einen Prozess, in dem das Thema wirklich Eingang in Unternehmensberichte findet! Die SDGs sind hierbei – wie auch die planetaren Grenzen oder die Doughnut Economics – ein mahnender aber auch aktivierender und inspirierender Impuls, der sagt: Passt auf, Leute, wir haben echt was Großes vor, und dafür müssen wir uns jetzt alle bewegen!

Mit Hilfe der SDGs haben wir eine einfache Strukturierung und Bildsprache, um dieses Verständnis ins kollektive Bewusstsein zu bringen. Die CSRD bietet das erste Mal eine standardisierte Messbarkeit von nachhaltigem Wirtschaften und dadurch Transparenz und Steuerungsfähigkeit. Man sieht jetzt schon, dass die Finanzmärkte anfangen darauf zu reagieren. Je besser die Daten werden – und sobald wir dann auch einen European Single Access Point für gesammelte Datenerfassung haben – desto besser funktioniert das „Schlüssel-Schloss-Prinzip“, bei dem Unternehmen Daten und Transparenz bereitstellen und die Finanzmärkte durch veränderte Allokation von Kapital darauf reagieren, was wiederum in Unternehmen Auswirkungen auf die richtigen Anreizsysteme hat. Und: Unsere Studie „Sustainability Transformation Monitor“ zeigt, dass viele Unternehmen, die anfangen, nach ESRS zu berichten, sich sehr positiv äußern. Sie sagen, dass die neue Datenverfügbarkeit ihnen hilft, ihre Geschäftsmodelle strategisch weiterzuentwickeln.

Früher reichte es für Unternehmen compliant zu sein, heute wird von ihnen gefordert, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Das scheint viele zu überfordern. So gibt es neben Greenwashing einen zunehmenden Trend zu Greenhushing. Warum ist Nachhaltigkeit so schwierig geworden?

Edinger-Schons: Mein Gefühl ist, dass wir im Moment die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft und unser Verständnis von Wertschöpfung neu definieren. Das hat vor einigen Jahren angefangen, als die Unternehmen sich alle einen „Purpose“ gegeben haben. Da gab es in den USA dieses Statement vom „Business Roundtable“ mit über 190 CEOs, die gesagt haben: „Wir müssen weg von der reinen Shareholder-Value-Maximierung und müssen über Stakeholder Value nachdenken.“ Das ging bis hin zu politischem Aktivismus von Firmen, die sich explizit für gesellschaftliche Themen positionieren haben. Jetzt erleben wir an vielen Stellen dort den totalen Backlash, diesen ganzen „War on Woke Capitalism“ und das „Anti-ESG-Movement“ von der politischen Rechten. Je mehr das Thema Nachhaltigkeit aus der Nische heraus in den Mainstream rückt, desto stärker wird diese Gegenbewegung.

Wir erleben einen neuen Aushandlungsprozess, in dem wir gerade über die Rolle von Firmen in der Gesellschaft nachdenken. Das geht mir manchmal auch zu weit. Wenn zum Beispiel Unternehmen in den USA sich für Themen wie Abtreibung oder Waffengesetze politisch positionieren, dann stelle ich mir schon Legitimitätsfragen. Sie sind ja keine demokratisch legitimierten Akteure. Denn auch wenn wir bei einigen Themen und Positionen zustimmen, z.B. wenn Ben & Jerry’s sich für Klimaschutz und Menschenrechte engagiert, gibt es auch Aktivismus von Firmen, die sich am anderen Ende des politischen Spektrums positionieren. Das kann Polarisierung und gesellschaftliche Spaltung verstärken statt nachhaltige Entwicklung zu unterstützen. Wobei ich dagegen absolut an Bord bin, sind Fragen, welchen Wert Unternehmen für ihre Stakeholder generieren und dass die Shareholder eben nicht die einzige Stakeholder-Gruppe sind, die die es zu adressieren gilt.

Und es tut sich viel: Wenn man sich die neue Rolle der Führung in Unternehmen anschaut, dann haben die alle eigentlich schon ein gewisses Bewusstsein dafür, dass sie Stakeholder stärker einbinden sollten, und dass das es auch noch andere Ziele neben der reinen Gewinnmaximierung gibt. Trotzdem halten viele noch sehr stark an der alten Shareholder-Value-Maximierungslogik fest, auch bei uns in den Business Schools. Da wird oft noch sehr altmodische Wirtschaftslehre unterrichtet und wenig über die Konsequenzen reflektiert.


Start-ups und neuen Gesellschaftsformen wie Social Entrepreneurs fällt es leichter, beim Verbraucher mit Nachhaltigkeit zu punkten. Liegt es an ihrem Purpose oder daran, dass sie keinen so großen Rucksack an schlechten Erfahrungen mit sich tragen?

Edinger-Schons: Es ist immer einfacher, wenn man etwas neu designt, es so zu gestalten, wie man es gerne hätte, als einen schweren Tanker zu übernehmen und den umzusteuern. Deswegen ist es sehr gut, was wir gerade im Social Entrepreneurship-Bereich sehen. Gleichzeitig ist es auch gut, dass in fast allen großen Konzernen Menschen versuchen, diese Themen zu treiben. Wir sprechen in der Forschung dabei häufig von Social Intrapreneurs, die auch in großen Unternehmen Veränderungen bewirken.

Beides ist total wichtig. Wir können die großen Unternehmen nicht zurücklassen. Auch da muss Transformation stattfinden, und das geht manchmal an die Grundfesten der Geschäftsmodelle. Die Social Entrepreneurs und Intrapreneurs haben dabei eine interessante Funktion: Sie entwickeln häufig in existierenden Branchen Geschäftsmodelle neu, die das Big Business infrage stellen. Sie schaffen zum Beispiel wie Fairphone Transparenz und kommunizieren Preis- und Kostenstrukturen zu 100 Prozent offen. Dabei ist dann auch nicht alles perfekt. Hier in Hamburg haben wir zum Beispiel „Viva con Aqua“, die sagen: „Wir sind social, wir sind nicht öko, weil wir wissen, dass Wasser in Plastikflaschen überhaupt nicht sinnvoll ist.“ Aber sie haben auf ihre Art Impulse gesetzt, die wichtig sind und uns helfen, eine neue Logik des Wirtschaftens zu etablieren.


Lassen Sie uns zum Abschluss gemeinsam in die Zukunft schauen. Wohin wird sich Nachhaltigkeit – insbesondere für Unternehmen – entwickeln? Derzeit ist das Pendel von der Freiwilligkeit in Richtung Pflicht geschwenkt. Aber irgendwann müssen wir, glaube ich, auch noch mal intrinsische Motive reaktivieren. Wie kann das gelingen?

Edinger-Schons: Wir bewegen uns jetzt in eine Phase, in der es um die Umsetzung der neuen gesetzlichen Vorgaben geht. Wir schauen jetzt mal, wie wir die ESRS-Standards und die Wesentlichkeitsanalysen umgesetzt kriegen und wie wir das in Datenerhebungsprozesse übersetzt bekommen. Das sind komplexe Veränderungen, weshalb auch viele kritisieren, dass hier teilweise Ressourcen, die für die Umsetzung von Maßnahmen da sein sollten, abgezogen werden.

Das finde ich prinzipiell aber erstmal nicht so schlimm, weil das Transparenz herstellt und damit eine komplett neue Steuerungsfähigkeit erlangt wird. Dann stellt sich die Frage, wie werden sich Ambitionsniveaus in der Zukunft unterscheiden? Es wird Unternehmen geben, die werden nur Compliance-Mindestmaß machen und manche werden vielleicht am Anfang nicht einmal compliant sein. Und dann wird es auch solche geben, die kreativ weiterdenken. Wie in der Vergangenheit werden wir weiterhin Nachhaltigkeitspioniere sehen, die mit ihrem einzigartigen Nachhaltigkeitsprofil glänzen. Meiner Meinung nach werden das diejenigen sein, die es schaffen, über „do no harm“ hinauszugehen und für sich entdecken, welchen positiven „Impact“ sie beitragen und authentisch kommunizieren können. Außerdem wird es darum gehen, eine Kultur der Nachhaltigkeit zu etablieren, so dass alle im Unternehmen die Transformation mitgestalten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Und es tut sich viel: Wenn man sich die neue Rolle der Führung in Unternehmen anschaut, dann haben die alle eigentlich schon ein gewisses Bewusstsein dafür, dass sie Stakeholder stärker einbinden sollten, und dass das es auch noch andere Ziele neben der reinen Gewinnmaximierung gibt.